Seiteninhalt

Martina Roth und Johannes Conen

Sonderveranstaltung des Kulturforum Netphen: „Herzkeime“ am 9. November 2013

Schreiben gegen Angst und Tod: Selma Meerbaum-Eisinger und Nelly Sachs.

Bewegtbildtheater aus Trier erinnerte an schicksalsträchtigen Tag des Reichspogroms 1938

Die jüdische Dichterin Selma Meerbaum-Eisinger starb sehr jung, im Alter von 18 Jahren, im Konzentrationslager. Aber Sie hinterließ 57 Gedichte, die in einem Safe in Israel gerettet werden konnten und ein Stück Weltliteratur geworden sind: Liebesgedichte für einen Freund, den sie nie mehr wiedersah: Auch er kam auf seiner Flucht nach Palästina ums Leben: Eine Lyrik entstand, „die man weinend vor Aufregung liest: so rein, so schön, so hell und so bedroht.“, schilderte die Schriftstellerin Hilde Domin ihre Betroffenheit. Mit der Dichterin Nelly Sachs verbindet Meerbaum-Eisinger nicht nur die jüdische Herkunft, sondern auch die Erfahrung der unerfüllten Liebe zu einem sehr frühen Zeitpunkt. Nelly Sachs zerbrach beinahe an diesem Trauma, das Quelle ihres dichterischen Schaffens wurde. Sie kehrte nach 20 Jahren Exil in Stockholm nach Deutschland zurück und erhielt hier den Literaturnobelpreis für ihre Werke, die das Schicksal Israels mit ergreifender Kraft und Ehrlichkeit interpretieren und wiedergeben. Die Verfolgung der Nazizeit hatte jedoch schwere psychische Schäden hinterlassen. Sie starb 1970 an einer Krebserkrankung. Es trug zum Verständnis der rezitierten Gedichte beider Frauen bei, dass Kulturforumsvorsitzende Dr. Ingeborg Längsfeld in ihrem Einführungsvortrag über die Biografie und die Hintergründe der Werkentstehung informierte.

Schauspiel, Film und Musik

Herzkeime2
Herzkeime2

 

 

 

 

 

 

 

 

Vor der Folie einer transparenten Innen-und Außenwelt, in Videofilmaufnahmen gebannt, stand die Schauspielerin Martina Roth, die zuletzt die „Elektra“ am Cuvilliestheater in München spielte. Stand im Dunkel und sang und sprach mit unvergleichlicher Hingabe, an der Gitarre begleitet von Johannes Conen. Mit ihrer Rolle als “nur eine Stimme, ein Seufzer, für die, die lauschen wollen...“ entsprach sie dem so geäußerten Wunsch von Nelly Sachs.

Lauschen und Sehen

Wie im Leben beider Dichterinnen das Leben in der Wirklichkeit Stück für Stück seine Farben verliert, seine Perspektiven, seine Träume und Hoffnungen, wie es immer dunkler wird und an die Stelle des Realen der Traum tritt, so verschwammen bei dieser Aufführung das Reale und Virtuelle ineinander. Das war kein unterhaltsamer Abend - das war ein Abend, der erst nach der Veranstaltung seine eigentliche Wirkung entfaltete: Indem die Gitterstäbe den Blick auf den fernen Horizont und die Weite der sich im Unendlichen verlaufenden Landschaftsfarben versperren und in den virtuellen Raum eines Gefängnisses dauerhaft Individuen einsperren, deren einzige Fluchtmöglichkeit die innere Landschaft der Träume und Visionen wird: „Es sind meine Nächte durchflochten von Träumen, die blau sind von Sehnsuchtsweh/Sieh nur, Geliebter, im Traume/ da kehren wieder/die Tage voll Licht/ Vergessen die Stunden/die wehen und leeren/von Trauer und Leid und Verzicht“ schrieb Selma ein Jahr vor ihrem Tod.. Das vergitterte Fensterbild durchwanderten immer wieder ziellose, gesichtslose Menschen mit demselben Koffer in der Hand, den Martina Roth trug, stellte oder als Hocker benutzte während des Rezitierens: So ging sie 75 Jahre später noch einmal den endlosen Weg in den Fußstapfen der Einsamen, erfühlte noch einmal die ziellose, sinnlose Kreisbewegung vor dem Hintergrund zerbrochener Wände, die ebenso wenig wie die Menschen Geborgenheit und Halt zu geben vermochten. Diese zermürbende Aussichtslosigkeit eines Lebens in einem Käfig im Abseits des Erdengeschehens war es, vor deren Hintergrund die „Tragik“ des so betitelten Gedichts ein Jahr vor dem Lagertod der Verfasserin die Zuhörer 75 Jahre später tief ergriff und noch lange Zeit später nicht loslässt: „Sich verschenken und wissen/dass man überflüssig ist/sich ganz zu geben und zu denken/ dass man wie Rauch in Nichts verfließt.“

Herzkeime
Herzkeime